Erzwungenes "Kanpai!"

"Hanami" im Ueno-Park
"Hanami" im Ueno-Park

29.11.2017

Es war April diesen Jahres, ich war das erste Mal zu Besuch in Japan, die Kirschblüten blühten um die Wette und überall um uns picknickten Familien und Freunde um das traditionelle „Hanami“/Kirschblüten-Gucken zu begehen. Auch wir waren im Park umher geschlendert und haben Fotos gemacht. Bis der Lieblingsjapaner plötzlich auf sein Handy schaute. „Ich wurde von meinem Professor eingeladen… zum Hanami-‚Konshinkai‘“, druckste er herum.

 

 

„Konshinkai“ bedeutet so viel wie „freundschaftliches Treffen“. Was ziemlich gewöhnlich klingen mag, ist eigentlich so „typisch Japanisch“ wie man sich nur vorstellen kann. Als etwas verschönerte Umzeichnung des Wortes „Nomikai“/Trink-Party, ist das „Konshinkai“ fester Bestandteil jeder Ausbildungs-, Sport- oder Arbeitsgruppierung. Während es im alltäglichen Zusammentreffen jener Gruppen durch die strikten Regeln der japanischen Kultur sehr schwierig ist über den alltäglichen Smalltalk hinaus zu kommen, werden solche Treffen arrangiert um eben jene oberflächliche Kontaktaufnahme zu umgehen. Ziel ist ein persönlicheres Verhältnis zu einander aufzubauen. Klingt erstmal nicht schlecht, nur dass dabei immer der Alkohol als Brecher der strikten Regeln genutzt wird. Fragen, die man im normalen Alltag in Japan nie stellen könnte, können nach zwei Gläsern Bier plötzlich hemmungslos vorgebracht werden. Schließlich kann man jegliche Peinlichkeit und jeden Regelverstoß auf den Alkohol schieben. Hinzu kommt die ausgeprägte Senpai-Kōhai-Hierarchie der japanischen Gesellschaft. Der Gruppenältere/Senpai bestimmt, der Jüngere oder Neuere/Kōhai führt aus. Auch während des „Konshinkai“. Das heißt so viel wie, schenkt der Senpai dein Glas voll, trinkst du es einfach. Egal ob du willst oder nicht. Animiert dich dein Senpai zu einer kleinen Tanzeinlage, stehst du auf und tanzt. Und sagt dein Senpai, die Party ist beendet, dann darfst du heimgehen. Früher nicht. 

Auf dem Unigelände kurz vor der Party
Auf dem Unigelände kurz vor der Party

 

Das alles hatte ich schon so oft vom Lieblingsjapaner erzählt bekommen. Genauso oft habe ich gesagt „Du musst dich doch nicht zwingen lassen, etwas zu tun das du nicht willst!“. „Du verstehst das nicht, so ist das in Japan halt…“ kam dann meistens zurück. Und es stimmt. Ich konnte das wirklich nicht nachvollziehen, schließlich war ich nie selbst dabei gewesen.

 

Deswegen war ich umso gespannter, als der Lieblingsjapaner und seine restliche Laborgruppe vom Professor zu einem jenen „Konshinkai“ geladen wurde, das alles in Kombination mit einem „Hanami“-Picknick auf dem Unigelände. Zuerst war der Lieblingsjapaner unsicher. Eigentlich musste er dort erscheinen, schließlich hatte sein höher gestellter Professor ihn eingeladen. Gleichzeitig ist es wahnsinnig unüblich in Japan seine Freundin zu einem solchen Treffen mitzubringen, in Japan wird Privates und Öffentliches normalerweise strikt getrennt. Mich allein lassen und dafür trinken gehen wollte er dann aber auch nicht. Nach einigem Hin und Her entschloss er dann tatsächlich mich mitzunehmen. Ein Schritt der mich selbst überrascht und gleichzeitig sehr gefreut hat, schließlich war ich mehr als Neugierig diese ganze „Konshinkai“-Sache mit eigenen Augen zu sehen. Und so kam es, dass ich an meinem ersten (und bisher einzigen) Konshinkai teilnahm. Die Nervosität des Lieblingsjapaners war spürbar, immerhin war mein Erscheinen bei der Party für die japanische Gesellschaft ziemlich unkonventionell. Entsprechend überrascht und gleichzeitig neugierig waren dann auch die Kommilitonen und der Uniprofessor, als sie mich sahen. Gott sei Dank war deren erste Scheu recht schnell überwunden (ich sage ja, der liebe Alkohol…) und ich wurde mit Fragen zu Deutschland, Bier, Autos, Fußball und meinem ersten Eindruck von Japan durchlöchert. Der Uniprofessor war dazu noch hocherfreut mich als Englisch-Konversations-Beispiel für seine Studenten zu missbrauchen und schickte als er erfuhr, dass ich Vegetarierin bin, sogar nochmal ein paar Studenten los um mir vegetarisches Essen im Supermarkt zu holen (Der Senpai schickt, Kōhai muss sputen…). Eine ziemlich japanisch-schöne Erfahrung für mich, endlich mal zu wissen von wem (und von was)der Lieblingsjapaner immer erzählt hatte.

Nach Anbruch der Dunkelheit wurde das Ganze dann tatsächlich noch im Büro des Professors weitergeführt. Zu diesem Zeitpunkt erreichte der Alkoholkonsum dann irgendwann einen kritischen Punkt und meine Stimmung begann umzuschlagen. Der Professor, der viel betrunkener war, als es meiner Meinung nach für einen Professor passend gewesen wäre, fing an seine Studenten zu dümmlichen Aktionen zu überreden, schenkte immer fleißig Alkohol nach und stellte immer unangenehmere Fragen. Der Lieblingsjapaner und ich mussten erklären, warum wir uns eigentlich ineinander verliebt haben und ein anderer Student der Gruppe wurde gelöchert, warum er eigentlich noch nie eine Freundin hatte. Das alles vom sturzbetrunkenen Professor. In Deutschland für mich undenkbar. Irgendwann „durften“ wir dann alle heimgehen… und ich musste erstmal einiges Verarbeiten. Irgendwie schön fand ich das, alle besser kennen zu lernen und nette Gespräche zu führen. Das erzwungene Austauschen von intimen Details fand ich aber eher abstoßend. Und endlich konnte ich auch den Lieblingsjapaner besser verstehen. Nein sagen ist in so einer Atmosphäre leider verdammt schwierig, so sehr man es sich auch vornimmt.

 

 

Jetzt im Herbst bin ich dem Professor zufällig wieder über den Weg gelaufen. Er hat sich immer noch an meinen Namen erinnert. Vielleicht hat das „Konshinkai“ doch ein bisschen seinen Sinn erfüllt?


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Kommentare: 2
  • #1

    Tara (Samstag, 02 Dezember 2017 05:17)

    Ohaaa, da hast du ja eine spannende Geschichte zu berichten! Mein Freund hat mich NIE zu so einem Trink-Treffen mit seinen Senpai von der Uni oder aus dem Rugby Team mitgenommen, und das aus gutem Grund, wie du ja schon sehr schön erklärt und dann auch noch selber erlebt hast. ;)

    Ich persönlich finde diese ganze Senpai-Kouhai-Geschichte ziemlich albern, besonders wenn es ums Trinken und andere dumme Aktionen geht. Wir hatten deshalb schon des öfteren Krach, weil ich einfach nicht verstehen kann, dass man sich beinahe ohnmächtig säuft oder auf der Straße schläft (letzten Zug verpasst und so), nur um seinen Senpai nicht vor den Kopf zu stoßen.

    Aber echt gut, dass dein Freund sich am Ende doch dazu entschieden hat, dich mitzunehmen. So weißt du zumindest, was abgeht, wenn er mal wieder solch ein Treffen hat. :)

  • #2

    Isabella (Samstag, 02 Dezember 2017 12:44)

    Ich war auch suuper überrascht, dass er mich tatsächlich mitgenommen hat. (Vielleicht hängt das auch ein klitzekleines bisschen damit zusammen, dass ich ihm gut zugeredet habe ;) ) Aber es stimmt, wenn man diesen extremen Gruppendruck noch nie selbst erlebt hat, ist es wirklich schwer nachzuvollziehen, deswegen bin ich froh mal dabei gewesen zu sein.
    Wobei ich letztens von einer Freundin gehört habe, dass es in manchen deutschen Freundeskreisen schon fast genauso sei... wahrscheinlich kommt es hier auch einfach darauf an, mit wem man so befreundet ist.

    Ein bisschen Bauchweh habe ich trotzdem immer noch, wenn er erzählt dass er zum Trinken geht. Japan ist zwar sicher, aber wenn man so völlig betrunken am Bahnhof rumliegt....

    Vielleicht wirst du von deinem Praktikum aus ja selbst mal zu sowas eingeladen? Wäre super spannend zu hören, ob das in einer internationalen Firma genauso abläuft oder entspannter ist?