Vom Licht und vom Festhalten

oder: Naomi Kawases Film "Hikari" / "Radiance"

01.11.2017

Vor einiger Zeit hatte meine Mutter mir den japanischen Film "An" (dt. "Kirschblüten und rote Bohnen") der japanischen Regisseurin Naomi Kawase empfohlen und damit meine "Lieblingsfilmliste" um eine Zeile verlängert. Umso mehr habe ich mich gefreut, als sie mir erzählt hat dass von eben jener Regisseurin ein neuer Film im Kino ausgestrahlt werden würde - und dann auch noch genau an dem Wochenende an dem sie mich besuchen würde. Natürlich haben wir beschlossen hin zu gehen, mit uns ein Teil meines netten Volkshochschul-Japanischkurses. 

 

Die Handlung von "Hikari" (japanisch für "Licht", in der deutschen Fassung unter dem Namen "Radiance" erschienen) ist recht schnell zusammengefasst. Die junge Misako verfasst Audiodeskriptionen für blinde Zuschauer von Filmen. Sie betrachtet auf ihrer Arbeit wie auch im Privatleben jedes Detail und beschreibt genau was vor sich geht - trotzdem scheint sie nur an der Oberfläche zu kratzen und das eigene Gefühl der Szene nicht einfangen zu können. Einer ihrer krassesten Kritiker ist der erblindende Nakamori. Nakamori war vor seiner Erkrankung ein gefeierter Fotograf und hadert nun mit seinem Sehverlust und dem Schicksal die Welt fortan mit anderen Sinnen wahrnehmen zu müssen. Trotz der scheinbaren Gegensätzlichkeit des verbitterten, verhärmten Mannes und der sensiblen, stillen Frau nähern sich die Beiden langsam aneinander an und erweitern dadurch schlussendlich den Horizont des jeweils Anderen. 

Ein stiller, langsamer Film der ganze Szenen in gleißendem Sonnenlicht badet und jedes Windrauschen und Vogelgezwitscher so auskostet, dass Sehen teilweise fast überflüssig wird. Der Sonnenuntergang im Film ist dabei genauso Vergänglich wie die menschlichen Sinne oder das Leben im Allgemeinen. Die Figuren scheinen an allem Liebgewonnenen festhalten zu wollen, sammeln Erinnerungsstücke und Fotos um sich herum an, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass nichts festgehalten werden kann, dass alles wie Licht am Ende einfach vorbeistrahlt. Beide drohen sie daran zu zerbrechen. Die Rettung der Figuren und das Fazit des Filmes ist wohl, den Sonnenuntergang mit allen Sinnen zu genießen wenn er denn gerade da ist, auch wenn man schon von vorneherein weiß, dass man ihn nicht festhalten kann. 

 

Besonders schön für mich persönlich war die Möglichkeit, mit dem Film knappe zwei Stunden ein Stückchen nach Japan zurück zu reisen, japanische Landschaften zu genießen, Gestiken und Mimiken wieder zu erkennen und den wohl fast wortwörtlich ins Deutsche übersetzten Texten und Floskeln zuzuhören. 

Nur zu gerne würde auch ich jegliche Japanerinnerungen einfrieren, ich sammle Japan-Gerüche in Plastiktüten und klebe Eintrittskarten und U-Bahntickets in mein Tagebuch. Es tut weh sich einzugestehen, dass das Alles die Realität nicht ändern kann, dass Japan und der Lieblingsjapaner weiterhin 9251 km entfernt sind. Was hilft ist die Vorstellung vom gemeinsam betrachteten Sonnenuntergang - und sei der auch in unbestimmter Zukunft. 


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