Marathon im Anzug

oder: Der Lieblingsjapaner im japanischen Berufseinstiegswahnsinn

23.02.2018

Was ist mein Lebensziel? Wie habe ich Hindernisse in meinem Leben überwunden? Wie gehe ich mit meinen eigenen Schwächen um?

 

Das alles sind Fragen, die sich in den Gesprächen zwischen dem Lieblingsjapaner und mir in letzter Zeit häufen. Und das nicht etwa, weil wir derzeit ein besonders starkes Bedürfnis haben uns selbst zu finden… Stattdessen steckt der Lieblingsjapaner gerade mittendrin im japanischen Berufseinstiegswahnsinn. Deswegen ist Bewerbungsgespräche nachspielen im Moment auf unserer Tagesordnung.

 

Und dabei hat der Lieblingsjapaner noch nicht mal angefangen damit, seine Masterarbeit zu schreiben. Nun ist er nicht einfach besonders spät dran, sondern liegt im ganz normalen japanischen Zeitrahmen. Rund ein Jahr vor Abschluss der Uni muss man sich bewerben. Am 01. März werden die Bewerbungsdokumente und Stellenausschreibungen hochgeladen und das Rennen um die besten Stellen beginnt. Wer sich gerne erst im Juli bewerben würde hat tatsächlich Pech gehabt. Denn für alle Universitätsabsolventen landesweit gelten die selben Fristen, ziemlich verrückt oder? Aber es geht noch weiter: Denn mit Bewerbungsunterlagen ausfüllen und im besten Falle im Anschluss zum Bewerbungsgespräch gehen ist es in Japan nicht getan. Und auch wer denkt, dass dann die Bewerbungen eben am 1. März so richtig losgehen liegt falsch. Bewerbungen für Berufseinsteiger in Japan benötigen Vorbereitung – und zwar ziemlich viel davon. Die ganz Fleißigen fangen schon ein halbes Jahr vor dem ersten März damit an. Der Lieblingsjapaner ist somit sogar relativ spät dran. Es gilt so viele Seminare, Vorbereitungskurse, Beratungsgespräche und Jobmessen zu besuchen, wie man irgendwie in seinen Terminkalender quetschen kann. Firmen bieten Infotage an zum Thema Bewerbungsgespräch, die Uni organisiert Bewerbungsunterlagen-Verbesserungen und dann gibt es auch noch die Seminare von verschiedensten Organisationen, bei denen man lernt wie man sich richtig anzieht, bewegt oder in der geforderten Gruppendiskussion brilliert. Der Lieblingsjapaner hat sich bei diversen Email-Verteilern eingetragen und bekommt jetzt täglich rund 50 Einladungen zu Seminaren und Vorträgen, dementsprechend sieht auch sein Terminkalender aus. Dazwischen muss er dann noch möglichst neutrale Krawatten kaufen, zuhause potentielle Arbeitgeber googlen und sich die Haare beim Friseur auf Normlänge stutzen lassen.

Der lange-Haare-Hippie- Look ist spätestens jetzt Vergangenheit
Der lange-Haare-Hippie- Look ist spätestens jetzt Vergangenheit

Bye-bye lange Haare, Dreitagebart und Ohrringe, im Bewerbungsprozess heißt der gefragte Look: Vertrauenvoll-neutraler Bankangestellter mit gestriegeltem Haupthaar und (wortwörtlich!) weißer Weste (naja, oder eben Hemd, ich gebe zu der Vergleich hinkt etwas..). Aber das ist alles nur der Anfang. Im März geht der Wahnsinn dann erst richtig los. Jede Firma hat ihre eigenen Bewerbungsdokumente, die ausgefüllt und eingereicht werden müssen, dann wird man im besten Falle dazu aufgefordert auch noch den eigenen Lebenslauf und Motivationsbrief nachzuschicken. Wenn diese den Chefs gefallen, darf man zu Auswahltests gehen, bei denen zum Beispiel Problemlösefähigkeiten oder japanischer Wortschatz getestet wird – und das auch wenn man nicht in die Verlagsbranche einsteigen will. Im Anschluss folgen Einladungen zu Tagen an denen man vor einer Gruppe mit wichtigen Anzugtragenden Menschen Gruppendiskussionen (vor)führt oder Probleme diverser Art möglichst kreativ löst. Achja, und wer das alles in hinter sich gebracht hat, kommt ins Staffelfinale-…. naaa, falscher Film… der muss sich im Laufe von etwa 3 – 7 Vorstellungsgesprächen beweisen. Ich möchte betonen: ich spreche nur von einer Firma. Dieses Prozedere kann man dann ungefähr mal 20 bis 50 nehmen, je nachdem bei wie vielen Firmen man sich eben bewirbt. Tja, und wer dann noch nicht völlig durchgedreht ist, der hat am Ende dann einen Job… im besten Falle zumindest. Heute habe ich dem Lieblingsjapaner einfach so daher gesagt „Ich hoffe du kannst heute Abend bald ein bisschen entspannen“, daraufhin meinte er trocken „Ich werde mich die nächsten Monate kein einziges Mal entspannen können“. Er tut mir Leid, und ich tu mir auch ein bisschen Leid. Im März werde ich in Japan verbringen, ein anderer Zeitraum war leider nicht möglich. Ich versuche mich jetzt schon damit anzufreunden, dass ich den Lieblingsjapaner nur sehr viel im Anzug herumhetzen sehen werde.

 

 

Das Ziel ist nämlich ein Job in einer japanischen Firma mit Verbindungen nach Europa bzw. Deutschland. Am liebsten würde sich der Lieblingsjapaner nämlich von einer japanischen Lebensmittelfirma an eine deutsche Tochtergesellschaft versetzen lassen. Und dass das klappt übe ich liebend gerne tagelang gemeinsam Bewerbungsgespräche und drücke Daumen im Akkord – ich hoffe ihr unterstützt mich beim zweiten Punkt ein bisschen in Gedanken ;) ! Sein selbsternanntes Ziel ist, den Lebensmittelmarkt für Vegetarier zu verbessern. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, hätte ich ihn am Liebsten – ganz wie die Großmutter bei ihrem Enkel – in beide Wangen gekniffen, so süüüüß fand ich das :) Nur durch den Computerbildschirm funktioniert das leider nicht so gut…

 

Was waren eure obskursten Erlebnisse in Bewerbungsgesprächen? Und habt ihr Ablenkungstipps für mich, wenn der Lieblingsjapaner sich durch Gruppendiskussionen kämpfen muss?


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