"Weil ich anders bin als du"

oder: Über das "Anders-Sein" in Japan

13.11.2017

Letztens bin ich in der Stadt an einem diskutierenden Pärchen vorbei gelaufen. Dabei habe ich, völlig aus dem Zusammenhang gerissen, den Satz "Weil ich anders bin als du" aufgeschnappt. Das fand ich so schön bezeichnend, letztlich ist es meiner Meinung nach die Antwort auf so ziemlich jede Diskussion oder jedes menschliche Aufeinandertreffen im Allgemeinen. Denn so ähnlich wir uns in unserem Mensch-Sein sind, so unterschiedlich sind wir darin gleichzeitig. Finde ich.

 

Dabei gilt das "Anders-Sein" in Deutschland generell als erstrebenswert. Wer Anders ist, ist individuell und einzigartig, interessant und besonders. In Second-Hand-Shops versuchen wir dem allgemeinen H&M-Look zu entgehen und erhöhen mit der Anmeldung im Panflöten-Volkshochschulkurs unsere Einzigartigkeit für das nächste Partygespräch. Natürlich hat das auch alles Grenzen, schließlich möchte man auch in Deutschland nicht der verrückte Außenseiter werden. Aber trotzdem: "Mitläufer" und "Nachmacher" sind in Deutschland keine Komplimente. 

 

In Japan ist das anders. Dort gibt es das bezeichnende Sprichwort "Der herausstehende Nagel wird hineingeschlagen". Das heißt so viel wie: Wer aus der Norm hervorsteht, wird zurück in die Masse gedrängt, egal wie. Mein Lieblingsjapaner hat es mal so ausgedrückt: "Japaner sind wie Züge auf Schienen. Sie laufen alle den gleichen Weg ab, denn abseits der Schienen kann man nicht fahren". Natürlich gibt es wie immer auch Ausnahmen, aber generell ist es in Japan die Norm der Norm zu folgen. Man versucht möglichst nicht durch Meinungen, Lebensentwürfe oder Aussehen hervorzustechen und bleibt dementsprechend lieber stumm und angepasst. Kleinere Ausbrüche davon werden sofort negativ bewertet. Als sich der Lieblingsjapaner während der Schulzeit Ohrlöcher hat stechen lassen, kommentierten einige Mitschüler er sei ein "schlechter Schüler". Wie viel er dahingegen tatsächlich für die Uniaufnahmetests gelernt hat, wurde dabei gar nicht beachtet. Heutzutage lässt sich der Lieblingsjapaner sobald er im Ausland ist einen Dreitagebart stehen und die Haare wachsen, dieser wird dann einen Tag vor dem Japan-Rückflugdatum abrasiert und die Haare spätestens fürs kommende Vorstellungsgespräch auf Normlänge gekürzt. Und wenn der Uniprofessor zum abendlichen Trinkgelage lädt, dann wird in der Gruppe getrunken solange es der Professor will, egal ob man vielleicht eigentlich müde ist oder lieber Limo trinken würde. 

Neben der Lieblingsjapanermama sehe ich mit meinen 1,65m aus wie ein Riese...
Neben der Lieblingsjapanermama sehe ich mit meinen 1,65m aus wie ein Riese...

Als blonde Europäerin bin ich in Japan immer anders. Ich falle automatisch auf, egal wie angepasst ich mich auch verhalte. Mit meinen eigentlich gar nicht mal so großen 1,65m sehe ich aus wie ein Riese wenn ich neben der Lieblingsjapanermama stehe und meine 38er-Füße passen in Japan gerade mal so nur in L-Size Schuhe. Ich falle aus der Norm wenn mir Reis durch die Stäbchen rutscht oder ich im vollen Zug zu laut lache oder dem älteren Uniprofessor meine Meinung sage. Als Ausländer*in wird einem in Japan glücklicherweise viel verziehen. In Japan wird eigentlich schon davon ausgegangen, dass diese Europäerin gar nicht wissen kann wie man sich richtig verhält und dass sie es deswegen bestimmt auch nicht böse meint. Das erleichtert irgendwie, und trotzdem fühlt es sich für mich unangenehm an, in Japan anders zu sein. In Deutschland bin ich gerne anders, ich bin vielleicht sogar einer dieser Menschen der Angst davor hat "zu normal" zu sein. In Japan hingegen habe ich zwar nie negative Erfahrungen mit meiner Andersartigkeit gemacht und doch fühle es sich manchmal nicht besonders gut an, so hervorzustechen. Oft fühle ich mich viel zu groß und breit und laut und "Nicht-weiblich-Süß" wenn ich durch die japanische Gesellschaft stolpere. Einmal hatte ich sogar schon eine kleine Diskussion mit dem Lieblingsjapaner, der mich in einer Situation ermahnt hat, jetzt nicht zu viel Quatsch zu machen, um nicht so aufzufallen. Normalerweise schätzt er meine Andersartigkeit, in dieser öffentlichen Situation war sie aber wohl zu viel... So schön und interessant Japan ist, so sehr stört mich diese Mentalität und was sie auch ein bisschen mit mir macht. Und so wichtig die Anpassung an die Leitkultur auch sein mag, so nehme ich mir für weitere Besuche doch vor, mich in meiner Andersartigkeit nicht schlecht zu fühlen, schließlich werde ich sie dort nie ganz abstellen können. Und in der Zwischenzeit freue ich mich über jedes Mal, wenn der Lieblingsjapaner als sprichwörtlicher "Nagel" doch nicht ganz eingeschlagen ist, sondern auf der anderen Seite wieder hervorlugt. 

 

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